Myalgische Enzephalomyelitis: ME ist in Deutschland weiter verbreitet als HIV und wird dennoch nicht nur nicht ursächlich erforscht, sondern auch bagatellisiert und ignoriert.

Myalgische Enzephalomyelitis, kurz ME, ist eine der Öffentlichkeit unbekannte Krankheit. Auch Ärzte und Pfleger sowie Kliniken wissen nicht, wie mit solchen Patienten umgegangen werden soll. Und das obwohl die Krankheit in Deutschland dreimal häufiger ist als HIV und auch häufiger als Multiple Sklerose. Dennoch wir sie nicht gelehrt und Ärzte behandeln Patienten daher falsch. Dieser Artikel soll eine grobe Übersicht über diese häufige Krankheit geben, in anderen Ländern wird dies von den Gesundheitsministerien übernommen.

ME ist eine sehr komplexe, neuro-immunologische Erkrankung.

Bei ME sind alle Körpersysteme betroffen: das Gehirn und das Nervensystem, das Immunsystem, das Hormonsystem, die Muskeln und der Zellstoffwechsel. Das führt dazu, dass Erkrankte häufig mehr als 20 Symptome haben. Hier tritt dann das Problem zu Tage, dass Ärzte noch die Regel „mehr als 3 Symptome, dann muss das psychisch sein“ kennen. Das ist für ME-Patienten fatal, denn psychisch kranke Menschen werden mit Aktivierung und Bewegungstherapie behandelt, diese Therapien sind jedoch für Menschen mit ME schädlich. Denn ME-Patienten leiden als Hauptsymptom an der so genannten PENE (Postexertional neuroimmune exhaustion, übersetzt Postexertionale neuroimmune Erschöpfung): Dies beschreibt „das pathologische Unvermögen, bei Bedarf ausreichend Energie zu produzieren“ mit ausgeprägten neuroimmunologischen Symptomen. Die PENE ist dabei „Teil der globalen Schutzreaktion des Körpers“. Dieses Symptom ist nach meinem derzeitigen Wissen einzigartig und in den „Internationalen Konsenskriterien für ME“ ein zur Diagnose zwingend vorhandenes Symptom.

Ein Symptom mit katastrophalen Auswirkungen

Die PENE lässt sich dadurch beschreiben, dass bereits bei sehr geringer körperlicher Aktivität. wie zum Beispiel Zähneputzen. es zu einer Verschlechterung aller Symptome und zu einer muskulären Erschöpfung kommt. Selbst kurze Gespräche können eine PENE auslösen. Die PENE kommt jedoch zeitverzögert (24-48h) und kann Tage, Wochen oder Monate anhalten. Es ist für ME-Patienten nicht möglich körperlich oder geistig aktiv zu sein. Die Betroffenen verbringen also ihre Zeit ruhend auf dem Sofa oder im Bett. Für Gesunde alltägliche Dinge, wie Freunde treffen, ist für ME Patienten mit einer Symptomverstärkung verbunden und für schwer Betroffene gar nicht mehr möglich, da bereits die lebensnotwendigen Dinge, also essen und trinken, alle verfügbare Energie verbraucht. Ruhepausen führen dabei nicht, wie bei gesunden Menschen, zu einer Aufladung des „Akkus“.

Eine weit verbreitete Krankheit

Es muss betont werden, dass in Deutschland etwa 240.000 (Stand von 1993) und weltweit 17 bis 30 Millionen Menschen von dieser schrecklich einschränkenden Krankheit betroffen sind. Etwa 25 Prozent der Erkrankten sind so schwer betroffen, dass sie unfähig sind, die Wohnung oder das Bett zu verlassen. Sie sind häufig komplett pflegebedürftig und werden von Angehörigen versorgt. Wenige Prozent der Betroffenen sind so schwer erkrankt, dass sie ihre Zeit horizontal liegend, wegen der orthostatischen Intoleranz, im Bett verbringen, selbst Dinge wie das Anheben des Kopfes führt zu einer sofortigen Symptomverstärkung. Schwerstkranken verursachen bereits Gedanken eine Verschlechterung ihres Zustandes. Sie sind wirklich zu keinerlei körperlicher oder geistiger Aktivität mehr in der Lage.

ME bietet laut einer Studie die geringste Lebensqualität

ME ist damit schlimmer als Krebs und chronisches Nierenversagen. Ein Zitat der Forscherin Dr. Nancy Klimas stellt die Dramatik dar: „Ich habe meine klinische Zeit auf die beiden Krankheiten aufgeteilt, und ich kann Ihnen sagen, wenn ich zwischen den beiden Krankheiten wählen musste (im Jahr 2009), hätte ich lieber H.I.V..“. Der Unterschied zu HIV liegt darin, dass es seit etwa 1995 effektive Therapien gibt, also nicht einmal 15 Jahre nach dem ersten großen Auftreten der Krankheit. ME ist zwar seit 1969 von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) unter dem Schlüssel „G93.3“ gelistet, es gibt aber heute, 50 Jahre später, immer noch keine Therapie und auch keinen Bluttest zur Diagnose und es fehlt es an Forschung.

Leider führt dieser Diagnoseschlüssel der WHO in Deutschland nicht dazu, dass Erkrankte soziale und pflegerische Unterstützung erhalten. Da viele ME-Patienten auf den ersten Blick gesund aussehen, man ihnen ihre schwere Krankheit also nicht ansieht, haben diese bei Einstufungen von Pflegebedürftigkeit schlechte Karten. Insbesondere da diese Krankheit in Deutschland nicht an medizinischen Universitäten gelehrt wird und entsprechend solche Entscheidungsträger beim Medizinischen Dienst der Krankenkassen nicht nur nicht ausreichend über diese Krankheit informiert sind, sondern in fast allen Fällen keinerlei Wissen über die Existenz dieser Krankheit besteht.

Medizinischer Skandal

Es ist ein medizinischer Skandal, dass diese Krankheit nicht erforscht und über diese Krankheit kein Wort in der medizinischen Lehre gesprochen wird. Daher wissen 99,9 Prozent aller Ärzte nicht über ME Bescheid und diagnostizieren Patienten falsch als psychisch krank und verordnen daher schädliche Therapien. Durch das Fehlen eines Bluttests ist die Krankheit leider für Ärzte nicht so einfach wie andere Krankheiten diagnostizierbar. Die „Internationalen Konsenskriterien für ME“ (International Consensus Criteria, ICC) sind leider auch nicht bekannt und werden daher nicht angewendet, obwohl sich mit diesen ME eindeutig diagnostizieren lässt.

Viele Ärzte behaupten es gäbe keine Marker im Blut. Es stimmt, es wurden noch keine eindeutigen Veränderungen im Blut festgestellt, welche zusammen als Diagnosekriterium dienen könnten. Jedoch heißt das nicht, dass bei ME-Patienten keine Auffälligkeiten im Blut festzustellen sind. Ganz im Gegenteil, es lassen sich viele Abnormalitäten feststellen, zum Beispiel eine Mitochrondrien- und Immunsystemdysfunktion (siehe Studienliste über die ME-typischen biomedizinischen Anomalien).

Verwirrender Krankheitsname

Ein weiteres Problem ist die Bezeichnung der Krankheit. Wie lässt man eine Krankheit verschwinden? In dem man sie alle paar Jahre umbenennt, erst Myalgische Enzephalomyelitis (ME), dann Chronic Fatigue Syndrome (CFS), jetzt soll sie plötzlich Systemic Exertion Intolerance Disease (SEID) heißen. Alle Bezeichnungen außer ME sind bagatellisierend und ignorieren die vorhandenen Gehirn- (Enzephalo) und Rückenmarks- (Myel) Entzündungen (itis), bei an ME Verstorbenen wurden bei Autopsien Entzündungen im Gehirn und Rückenmark festgestellt. Außerdem fordern die schlechten Diagnosekritieren CFS und SEID, dass der Patient mindestens 6 Monate anhaltende „Fatigue“ hat. Das bedeutet, dass schwere Fälle, trotz des rapiden Verlaufs, erst nach 6 Monaten diagnostiziert würden und dann bereits alles zu spät wäre. ICC-ME ist sofort, also deutlich schneller diagnostizierbar. Die meisten Patienten wünschen sich, sie hätten früher erfahren, dass Aktivität die Krankheit fortschreiten lässt und ausruhen extrem wichtig ist. Die Energieproduktion der meisten Patienten funktioniert nur noch mit Adrenalin, was es natürlich unmöglich macht zur Ruhe zu kommen.

Fehlende Forschungsfinanzierung

Das Thema Forschung ist ein großes Problem, da es für ME weltweit so gut wie keine Finanzierung gibt. Es gibt in Deutschland nur zwei Forscher die beim EUROMENE Forschungsverbund dabei sind, diese haben aber bis auf eine Übersichtsstudie noch keine nennenswerte Forschung durchführen können. Prof. Scheibenbogen von der Chartié Berlin und Prof. Harrer von der Uni Erlangen würden sicher gerne mehr Studien an Patienten durchführen, jedoch fehlt die Finanzierung. Es gäbe genügend Medikamente die bereits bei einigen ME-Patienten zu Besserung oder Heilung führten, daher wäre es sicher sinnvoll hier einige Medikamentenstudien zu starten (z. B. mit Cyclophosphamide, Ampligen, antiviralen oder antiretroviralen Medikamenten).

Fazit

ME ist eine schwere Erkrankung. Die Betroffenen benötigen die Hilfe der Gesunden um für Forschung und Anerkennung zu kämpfen. Viele ME-Patienten, vor allem diejenigen, bei denen es zwischen Erkrankung und Diagnose viele Jahre gedauert hat, sind dazu leider nicht mehr in der Lage. Angehörige versuchen mit Petitionen (siehe weitere Informationen) in Deutschland und vor dem Europäischen Parlament für die nötige Aufmerksamkeit zu sorgen, daher wäre es das mindeste, dass jeder Gesunde diese unterstützt

Weitere Informationen

Petition: Wir wollen unser Leben zurück!

Petition an das Europäische Parlament: Petition No 0204/2019 by Evelien Van Den Brink (Dutch) on a request for funding for biomedical research on Myalgic Encephalomyelitis

Was ist ME? www.me-information.de/me

Buch von Katharina Voss: ME – Myalgische Enzephalomyelitis vs. Chronic Fatigue Syndrom (ME vs. CFS) Fakten Hintergründe Forschung von Katharina Voss, ISBN-10: 3743924943
Sehr informativer Blog von Katharina Voss: meversuscfs.blogspot.com

Charité Berlin: Das Chronische Fatigue Syndrom – eine unterschätzte Erkrankung

VdK Niedersachse-Bremen e. V.: Die Krankheit ME: ein Leben am Abgrund
Todesfälle von ME/CFS/CFIDS: www.ncf-net.org/memorial.htm

Dokumentarfilm über ME (Passwort: fenomen): https://vimeo.com/fenomentvfilmogscene/review/96586451/90caf58405

Dieses Werk darf frei weiter verbreitet und vervielfältigt werden.
Quelle: https://www.freitag.de/autoren/wreiter/eine-schreckliche-krankheit

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